Zu sonnig, zu warm, zu trocken
- Veröffentlicht: Montag, 15. Mai 2023 14:01
Das Wetterjahr 2022 glänzte mit Rekorden – schon wieder.
Als der Autor dieses Beitrags noch zur Schule ging, hatte Leipzig eine Jahresdurchschnittstemperatur von 9,5 °C. Die Sommer waren warm, die Winter kalt. Im Frühjahr und Herbst gab es Wetterkapriolen vom klassischen Aprilwetter bis zu Herbststürmen.
Heute ist das anders. Leipzig hat eine Jahresdurchschnittstemperatur von 11,2 °C (2022), die Sommer sind heiß, die Winter eher lau. Frühlings- bzw. Herbstwetter gibt es fast nicht mehr. Es geht gleich von Sommer in den Winter über und umgekehrt.
Diese Veränderungen in sehr kurzer Zeit sind beängstigend, wenn man verstanden hat, dass sich die Menschheit mit ihren Hochkulturen weltweit in den vergangenen ca. 10.000 Jahren nur in stabilen klimatischen Verhältnissen nach der letzten Eiszeit entwickeln konnte. Auch in unserer heutigen Kultur sind wir immer noch auf stabile Verhältnisse angewiesen. Klar kann sich ein Mensch warm anziehen oder auch ein kurzes T-Shirt tragen, je nach Wetterlage. Das können Tiere und Pflanzen aber nicht. Die Nahrungsgrundlage des Menschen braucht stabile Wetterbedingungen, sonst gibt es am Ende des Jahres nichts mehr auf den Teller. Und spätestens mit diesem Satz sollte allen klar werden, worum es eigentlich geht.
Da der Klimawandel als existenzielle Bedrohung nicht nur für unsere Art zu leben, sondern für unser Überleben überhaupt zu verstehen ist, widmet sich der Anger-Crottendorfer Anzeiger in diesem Jahr dem weltweiten Klimawandel und dessen lokalen Auswirkungen in einem Themenschwerpunkt. Los geht es mit einem Rückblick auf das Wetter im vergangenen Jahr.
2022 war das Sonnenschein-reichste und gemeinsam mit 2018 wärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen mit einem deutlichen Niederschlagsdefizit. So fasst es der Deutsche Wetterdienst (DWD) in seinem „Klimatologischen Rückblick auf 2022“ vom 23. Januar 2023 zusammen. In den zurückliegenden neun Jahren traten mit 2022 fünf Jahre mit einer Jahresdurchschnitts-temperatur größer 10 °C auf. So hohe Werte wurden vor 2014 in Deutschland noch nie erreicht.
Die Folgen waren erneut Hitzewellen und sehr trockene Bedingungen in den Sommermonaten mit Auswirkungen insbesondere auf die Land- und Forstwirtschaft, ähnlich wie in den Jahren 2018, 2019 und 2020 sowie ein ausgesprochen warmer Jahreswechsel 2022/23 mit vielfachen neuen Monatsrekorden.
Temperatur
Mit einer deutschen Jahresmitteltemperatur von 10,5 °C war 2022 gemeinsam mit 2018 das wärmste Jahr in Deutschland seit 1881, mit geringem Abstand zu 2020 (10,4 °C) und knapp vor 2019 und 2014 (jeweils 10,3 °C). Im Vergleich zur Referenzperiode 1961-1990 war das Jahr 2,3 Kelvin [K] zu warm. Somit lagen neun der zehn wärmsten Jahre in Deutschland im 21. Jahrhundert. Eine Jahresdurchschnittstemperatur größer 10 °C gab es vor 2014 in Deutschland noch nie. Seitdem traten solch hohe Werte insgesamt fünfmal auf. Dabei waren alle Monate (der September allerdings nur sehr knapp) und alle Jahreszeiten 2022 in Deutschland wärmer als die vieljährigen Monats- und Jahreszeitenmittel 1961-1990.
Sonnenscheindauer*
Insgesamt brachte das Jahr 2022 im Deutschlandmittel 2024,1 Sonnenstunden. Gegenüber der internationalen klimatologischen Referenzperiode 1961-1990 ergibt sich ein Überschuss von 480,1 Stunden bzw. +31,1 %. Damit erreichte das Jahr 2022 einen neuen Sonnenscheinrekord und verdrängte das Jahr 2018 (2015,4 Stunden) von der bisherigen Spitzenposition.
Niederschlag
Obwohl es in den Monaten Februar und September mehr regnete, war 2022 ein ausgesprochen trockenes Jahr. Mit ca. 670 mm fielen 15 % weniger Niederschlag als die vieljährigen Jahressummen der Referenzperiode 1961-1990. Dies bedeutet ein Defizit von ca. 120 mm (bzw. l/m²). Als 24.-trockenstes Jahr seit 1881 ordnet es sich als sehr trockenes Jahr in die Klimazeitreihen ein. Nur im Nordwesten und im Bayerischen Wald lag die Niederschlagssumme etwas über dem Soll. In der Mitte und im Osten gab es ein Defizit von mehr als 15 %, gebietsweise sogar mehr als 25 %.
Wetter in Extremen
Der Sommer 2022 war in Deutschland und großen Teilen West- und Südeuropas unter häufigem Hochdruckeinfluss, geprägt von außergewöhnlich hohen Temperaturen, unterdurchschnittlich-en Niederschlägen, außergewöhnlich viel Sonnenschein sowie mehreren intensiven Hitzewellen. Im Zeitraum 18. bis 19. Juni 2022 wurde Deutschland und Mitteleuropa von einer ersten intensiven Hitzewelle erfasst. Durch aus Südwesten einströmende subtropische Luftmassen wurden in Deutschland großflächig Temperaturen über 35 °C, in Sachsen bis zu 39 °C erreicht. Neben den für das zweite Junidrittel außergewöhnlich hohen Temperaturhöchstwerten war diese Hitzeperiode auch durch sehr hohe Tagesmittelwerte geprägt.
Ab Mitte Juli 2022 entwickelte sich eine weitere intensive Hitzewelle in Deutschland und Mitteleuropa. Während des Höhepunkts dieser Hitzeperiode herrschten großräumig Temperaturen zwischen 35 und 40 °C. Am 20. Juli registrierten 87 DWD-Stationen Tageshöchstwerte von 38,0 °C oder mehr. An vier DWD-Stationen wurden Temperaturen von 40 °C oder mehr gemessen. Dies war erst der zehnte Tag seit Beginn der systematischen Temperaturmessungen 1881 in Deutschland, an dem Temperaturen von 40 °C oder mehr gemessen wurden. Sehr außergewöhnlich war das Überschreiten der 40 °C-Grenze in Hamburg-Neuwiedenthal: Noch nie wurden in Mitteleuropa nördlich des 53. Breitengrads Temperaturen über 40 °C gemessen. Damit schließt sich der Sommer 2022 an eine Folge von Jahren mit markanten Hitzewellen an.
Klima im Wandel
Und weil Klima der mit meteorologischen Methoden ermittelte Durchschnitt der dynamischen Prozesse in der Erdatmosphäre (Wetter) ist, fasst Andreas Becker, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung im DWD, das zusammen: „Seit dem Jahr 1881 haben wir nun einen Anstieg der Jahresmitteltemperatur in Deutschland von 1,7 Grad. Dieser lässt sich nur durch den menschengemachten Klimawandel erklären. Seit Anfang der Siebziger Jahre hat sich dieser Erwärmungstrend deutlich beschleunigt und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich dieser in den nächsten Jahren verlangsamen wird. Wir erleben inzwischen Hitzeperioden und -intensitäten, die wir aus den Klimamodellen eigentlich erst in ein paar Jahrzehnten erwartet hätten. Dies alles muss für uns eine starke Motivation sein, den Klimaschutz in Deutschland und global bedeutend stärker voranzutreiben, denn Anpassung ist viel teurer und selbst bei uns nur begrenzt möglich.“
Darius N. Ehrlicher
Der Rückblick auf das Wetter in Deutschland, Europa, der Welt und dessen „Klimatologische Einordnung“ gibt es als pdf zum runterladen, unter: www.is.gd/nu8iP3 |