Während der Anhörung im Stadtbezirksbeirat Ost (SBB-Ost) am 11. April 2024 meldete sich zum Tagesordnungspunkt „Parkraumanalyse“ ein Mann zu Wort, der einige wichtige und vernünftige Punkte dazu und zu einem Parkhaus im Stadtteil ansprach. Der ACA fragte bei Carsten Schulze-Griesbach noch einmal genauer nach.
Herr Schulze-Griesbach, Sie nahmen an der öffentlichen Sitzung des SBB-Ost teil. Warum eigentlich?
Ganz in der Nähe bin ich aufgewachsen und kenne die Stadtviertel Anger-Crottendorf und Volkmarsdorf seit Jahrzehnten. Und als Leipziger interessiere ich mich allgemein für die städtische Entwicklung.
Zum Tagesordnungspunkt „Parkraumanalyse“ sprachen Sie mehrere Punkte an. So z.B. ungenutzte Parkhäuser in Wohngebieten. Was bewegt Sie?
Das Thema der als zu wenig empfundenen Parkplätze betrifft alle gründerzeitlichen Stadtviertel. Unisono kommen auch stets die gleichen Lösungsvorschläge, dazu zählen Parkhäuser. Gebaut wurden nur wenige, ich wohne im Süden der Stadt mit Blick auf ein ebensolches und dieses soll laut Absichten des Eigentümers abgerissen werden. Es stehen von den 6 Ebenen 4 leer und der Rest ist nur spärlich ausgelastet. Das macht nachvollziehbar, wie unwirtschaftlich diese Anlagen sind. Der monatliche Betrag für einen Stellplatz liegt wohl zwischen 50 und 80 Euro. Der Leerstand lockt zu anderen Nutzungen: Einige skaten auf den großen glatten Flächen, Partys finden statt, am Ende leider auch viel Müll, Krach oder Konflikte bis zum Vandalismus. Es ist ein Schandfleck geworden.
Der Anger-Crottendorfer Anzeiger berichtete schon in der Frühjahrsausgabe 18/2023 über das Parkhaus in der Bergstraße, das wenig genutzt nach 25 Jahren abgerissen wurde und nun durch Wohnbebauung ersetzt werden soll. Das Parkhaus entstand 1997 als in Teilen verkleideter Stahlskelettbau. Ein Stellplatz kostete um die 40 Euro pro Monat. Wie sähe das bei einem heutigen Neubau aus?
In meinem Redebeitrag habe ich Monatskosten von 200 Euro in den Raum gestellt. Das ist natürlich nicht durchkalkuliert. Doch wenn betrachtet wird, wie sich die Baukosten seit 1997 entwickelt haben, ist eine Verdopplung nicht falsch. Kostendeckend ist ca. 100 Euro im Bestand vorstellbar. In Anger-Crottendorf soll das Parkhaus mit einer Verkaufseinrichtung kombiniert werden. Auch als „gestalteter Hochpunkt“ am Polygraphlatz ist nicht davon auszugehen, dass es eine billige schäbige Skelettkonstruktion wird. Somit steigen auch die Anforderungen an Brandschutz und Fluchtwege. Eine relativ kleine Grundfläche sorgt für einen eher großen Anteil an Bewegungs- und Fahrflächen im Verhältnis zur Nutzfläche für Parkstände, die immer breiteren Autos sorgen zusätzlich für weniger Stellflächen je Grundfläche. Damit dürfte die angenommene Kostenverdopplung auf 200 Euro pro Monat eine realistische Annahme sein.
Es wird deutlich, dass das Baurisiko angesichts der enormen Kosten sehr hoch ist, denn hier wie anderswo wird die Nachfrage ausbleiben und stattdessen jede Straße weiter zugeparkt werden.
Laut Parkraumanalyse sind im untersuchten Gebiet in Anger-Crottendorf 3.150 Kfz zugelassen. Laut Statistik der Stadt Leipzig sind den gesamten Stadtteil betrachtet 263 Privat-PKW je 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner gemeldet (Stand 2023). Das ist im Vergleich mit anderen Stadtteilen und der Gesamtstadt eine eher geringe Quote, die zudem auch sinkt. Und Anger-Crottendorf ist ein sehr junger Stadtteil mit im Durchschnitt 37,1 Jahren.
Der eigene PKW-Besitz wird – und wurde auch in der SBB Sitzung – mit der Notwendigkeit des Weges zur Arbeit begründet. Nimmt man dies erst einmal wertfrei so an, stellt sich die Frage nach Notwendigkeit des PKW-Besitzes nach dem Arbeitsleben. Gründe und Ziele sind dann andere, die Zwänge allerdings auch. Die geschilderten Jahreskosten [s. blauer Kasten] dürften so manche Rente aufzehren. Für die 5.000 bis 7.000 Euro jährlich mit Parkhausgebühr kann man die Wege auch allesamt mit dem Taxi zurück legen. Das wird billiger!
Auch der Weg zur Arbeit muss nicht zwingend im eigenen PKW erfolgen. Bereits heute haben bundesweit 65% der mit dem PKW fahrenden Erwerbstätigen ein qualitativ gleichwertiges ÖPNV Angebot. In Leipzig dürfte diese Quote sogar höher sein.
Neue Studien zeigen auch, dass immer weniger Menschen in jungen Jahren sich einen eigenen PKW anschaffen, der Trend allgemein geht hin zum vielfältigen Mix aus Sharingangeboten und anderen Möglichkeiten.
Alle Effekte zusammen ergeben die berechtigte Frage, ob und wie ein Parkhaus für die Betreiber rentabel wird. Entweder gar nicht, dann wird keines gebaut oder mit dem Verlagerungsdruck, dass im Straßenraum deutlich die Anzahl der Stellplätze reduziert wird. Beides wird seine Schwierigkeiten haben, akzeptiert zu werden.
Sie nahmen am demokratischen Prozess im Stadtbezirksbeirat teil. Sie haben auch die Meinungen von anderen Teilnehmenden aus dem Publikum gehört. Was raten Sie diesen, vor allem denen, die sich despektierlich gegenüber ihren Ausführungen äußerten? Wozu fordern Sie sie auf?
Diskussionen wie zur SBB Sitzung sollen zu Lösungen führen, zu Verbesserungen. Was nicht förderlich für eine Lösungsfindung ist, wenn das Niveau auf persönliche Diffamierungen abrutscht. Das sollten sich auch einige SBB-Mitglieder selbst ganz intensiv zu Herzen nehmen.
In Mobilitätsfragen ist es durchweg so, dass der jeweils individuelle Erlebnisrahmen – das Bauchgefühl – vorgetragen wird. Das ist in jedem Fall aber nur ein Teil des Ganzen. Quasi nicht falsch, sondern unvollständig. Vom eigenen Handeln oder Erleben bzw. Erfahren hochskalieren auf die Gesamtschau, dafür braucht es umfassende Analysen. Das leisten Unis und Hochschulen, die forschen dazu. Diese Grundlagen und Auswertungen weichen allerdings von den individuellen Bauchgefühlen ab. Das macht Diskussionen eher schwierig. Es kommt zu Unwillen, die Abweichungen zur eigenen Wahrnehmung überhaupt anzuerkennen. Dann allerdings wird es zwingend unfachlich, unwissenschaftlich und damit nicht mehr zielführend.
Mobilität ist eine komplexe schwierige Wissenschaft, Städtebau, Architektur kommen hinzu, ebenso soziale und soziologische Betrachtungen. Nicht zu vergessen, Themenfelder wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein dürfen auf keinen Fall fehlen. Die vielen Kinder im Quartier wollen schließlich in einer Welt leben, in der sie noch atmen können.
Wozu fordern Sie die Stadtverwaltung auf?
Die Stadtverwaltung muss mehrere Dinge parallel bewältigen. Immer und immer umfassender gehört dazu, die Bürger zu informieren, über die fachlichen Vorausetzungen und Zusammenhänge. Der Handlungsrahmen ist für die Verwaltung das 2018 im Stadtrat beschlossene Nachhaltigkeitsszenario. Dieses sieht vor, die über Jahrzehnte unterlassenen Investitionen in den Umweltverbund, bestehend aus Fuß/Rad/ÖPNV, zu steigern und hier attraktive Angebote zu schaffen. Die LVB hat mit dem „Netz24“ gerade für Anger Crottendorf erste Schritte umgesetzt, was vor allem für Senioren dank der kurzen Fußwege zum Bus eine Verbesserung ist. Insgesamt sorgt eine größere Attraktivität für mehr Nutzung. Die Wahl der Verkehrsmittel wird sich also verändern.
Leipzig ist eine kompakte flache Stadt, ideal für ein dichtes ÖPNV-Netz und ideal fürs Radfahren. Wenn weitere Einwohner zuziehen, was zu erwarten und auch dringend notwendig ist, muss auch die Mobilität innerhalb des kompakten Rahmens ihre Ausprägung finden. Das ergibt zwingend den Druck, noch intensiver und vor allem noch schneller für besseren ÖPNV zu sorgen und die (Ansiedlungs-)Politik der Stadt der kurzen Wege beizubehalten.
Sie sprachen auch das Deutschland-Ticket an. Als Vertreter des Fahrgastverbandes Pro-Bahn, was raten Sie allen Lesenden?
Das Deutschland-Ticket hat zwei Vorteile: Der günstige Preis und – noch wichtiger – die „gnadenlose“ Einfachheit. Es gilt immer und überall im gesamten Nahverkehr Deutschlands. Es ist genauso einfach wie Autofahren geworden. Einfach einsteigen und keine Sorgen mehr mit Tarifzonen, Waben, Ringe oder Ausnahmen. Es wirkt wie das Auto in der Westentasche, also ein Lösungsangebot für platzsparendes Parken. Gewiss gibt es nun einige Nahverkehrszüge, die sehr intensiv genutzt werden, doch in der Masse aller Angebote – so auch in der neuen Linie 71 im Quartier – ist noch jede Menge Platz. Die vollen Züge zeigen eines: Die Menschen wollen den ÖPNV. Es braucht aber Verbesserungen.
Mobilitätskosten im Vergleich
“Ein eigener PKW sorgt ja für zahlreiche weitere Kosten: Anschaffung, geteilt durch die Jahre der Nutzung, Steuern, Versicherung, Reparaturen, Gebühren wie TÜV, Parkgebühren anderswo und natürlich auch Sprit und Öl oder Zubehör. Da kommen schnell – je nach Größe – 3.000 bis 5.000 Euro im Jahr zusammen, zusätzlich zu den 2.400 Euro der geschätzten Parkkosten in einem Parkhaus. Wer gibt freiwillig so viel Geld aus, wenn es so viel preiswertere Alternativen gibt? Selbst wenn sich das beliebte Deutschlandticket von 600 Euro pro Jahr auf 1.200 Euro pro Jahr verdoppeln sollte, ist das immer noch ein Viertel bis ein Fünftel der PKW-Kosten!” Carsten Schulze-Griesbach
„Wer gibt freiwillig so viel Geld aus?“ erschien erstmals am 26.08.2024 im Anger-Crottendorfer Anzeiger 22/ 2024.
Alle Ausgaben des Stadtteilheftes stehen unter folgendem Link als Download zur Verfügung: www.bv-anger-crottendorf.de/anger-crottendorfer-anzeiger