„Das war keine Debattenkultur“ Studie „Garagenhöfe als Sozialräume?“ beschreibt Anger-Crottendorfer Verhältnisse

Die Nutzung von Garagenhöfen ist seit einiger Zeit ein Thema in der Stadt. Auch in Anger-Crottendorf sollen die beiden Garagenhöfe in der Krönerstraße und Liselotte-Herrmann-Straße einem dringend benötigten Grundschulneubau weichen. Seit vier Jahren gibt es darüber Debatten.

Bei diesen Diskussionen wird häufig in den Raum gestellt, dass Garagenhöfe wichtige soziale Orte seien. Da die Stadtverwaltung allerdings wenig darüber weiß, was auf den ca. 200 Garagenhöfen in Leipzig passiert, gab sie eine Studie in Auftrag. Diese wurde am 17. Dezember 2024 im Rahmen der Filmreihe “Architektur im Film” im Stadtbüro vorgestellt – mit lautstarken Störversuchen einer kleinen Minderheit bestehend aus Garagennutzern aus Anger-Crottendorf und einem Mitglied des Stadtbezirksrates Ost für die CDU.

Da an diesem Abend ein intensiver Austausch nicht weiter möglich war, traf sich der Anger-Crottendorfer Anzeiger noch einmal mit dem Autor der Studie, Prof. Dr. Thomas Schmidt-Lux vom Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, um mehr über die Studie und die beiden Anger-Crottendorfer Garagenhöfe zu erfahren.

Herr Prof. Schmidt-Lux, Sie haben in einer Studie “Garagenhöfe als Sozialräume?” untersucht. Das Fragezeichen ist sicher nicht zufällig gesetzt. Was ist das Ergebnis ihrer Arbeit?

Die Hauptaufgabe war zu schauen und herauszufinden, ob die Garagenhöfe in Leipzig ein starker sozialer Ort sind, ein Ort des gemeinschaftlichen Seins und Tuns, wie das von manchen Protagonisten dargestellt wird. Im Ergebnis sind wir skeptisch, was das angeht. Uns sind nur in Ausnahmefällen Garagengemeinschaften begegnet, wo eine größere Gruppe regelmäßig zusammen etwas unternimmt. Dass also ein wichtiger sozialer Ort durch einen Abriss z.B. wegfällt, ist also kein gutes Argument, wenn man sich damit gegen einen Abriss stellt.

Studienautor Prof. Dr. Thomas Schmidt-Lux im Gespräch mit dem ACA.
Foto: ACA

An der öffentlichen Präsentation der Studie im Rahmen der Reihe „Architektur im Film“ nahmen auch Menschen von den Anger-Crottendorfer Garagenhöfen teil. Die Veranstaltung hatte eine merkwürdig-aggressive Stimmung und drohte mehrfach zu kippen. Wie haben Sie den Abend im Stadtbüro erlebt?

Es gab nie eine offizielle Vorstellung dieses Berichtes. Und auch das war keine. Der eigentliche Veranstaltungssinn ist diese Filmreihe, an besagtem Abend mit dem Film “Garagenvolk” aus dem Jahr 2020. Die Veranstalter sind für jeden Termin bemüht einen Bezug zu Leipzig herzustellen. Daher wurde ich angefragt. Wenn es dann aber eine Viertelstunde erst einmal hoch hergeht, ist die Zeit eigentlich um. Der Film für sich ist interessant. Dass der Teil vorher so lief, wie er lief, fand ich unglücklich, aber gleichzeitig war das zu erwarten. Die Leute aus Anger-Crottendorf haben an dem Abend aber nicht viele Punkte gemacht. Taktisch fand ich das nicht klug.

Wie kam es in der Studie zu dem Schwerpunkt Anger-Crottendorf?

Es sollte kein Schwerpunkt sein. Der Stadtteil findet mehr Erwähnung, weil dazu schon mehr geschrieben wurde, es öffentliche Debatten und Diskussionen gab. Inzwischen würde möglicherweise Mockau-West eine stärkere Rolle spielen. Zu Anger-Crottendorf haben sich mehr Protagonisten geäußert, da gab es eine starke Gruppe auf den Garagenhöfen, die dahinter steht. Das Ergebnis der Studie bezieht sich aber auf die insgesamt 40 Garagenhöfe, die wir betrachtet hatten.

Sie unterscheiden verschiedene “Garagenpraktiken”, also verschiedene Nutzungen der Garagen und der Höfe. In der Stadtgesellschaft wird gemutmaßt, dass in Garagen doch eher eine recht überschaubare Anzahl an Autos zu finden ist. Wie werden die Garagenhöfe im Stadtteil genutzt?

Garagen sind individuell ganz sicher bedeutsam – für verschiedene Vorhaben. Das darf man auf städtischer Seite nicht unterschätzen. Wie die Garagen in Anger-Crottendorf genutzt werden, weiß ich nicht. Das haben wir auf keinem Garagenhof systematisch untersucht. Aus unserer Einschätzung sind aber Nutzungen von Autos weiterhin in der Mehrheit.

In der Studie fallen zwei Begriffe: nämlich “meinungsstarke Akteur:innen” und “weniger meinungsstarke Akteur:innen”. Auf wen trafen Sie auf den Garagenhöfen im Stadtteil und unterscheiden sich deren Ansichten?

Wir nahmen in Anger-Crottendorf am 50-jährigen Jubiläumsfest der beiden Garagenhöfe am 16. September 2023 teil. Wenn wir mit Verantwortlichen bzw. Vorsitzenden gesprochen haben, dann lag denen natürlich mehr am Bestehen des Garagenhofes als Einzelnen. Die Einzelnen, die wir angetroffen haben, verstehen aber schon, dass es konkurrierende Interessen gibt. Es braucht an manchen Orten eben auch Platz für anderes.

Sie schreiben: “Akteure hoff(t)en auf ein Votum in ihrem Sinne” mit dieser Studie. Wie ist ihr Votum konkret?

Die Verantwortlichen wollten schon, dass mit der Studie etwas Positives für sie heraus kommt. Wir haben aber ihnen gegenüber immer signalisiert, dass wir keine Empfehlung geben für die Zukunft einzelner Garagenhöfe. Uns interessiert nur, was hier passiert.

Die Studie: “Garagenhöfe als Sozialräume?”.
Grafik: Universität Leipzig

In Gesprächen wird oft von einer Gemeinschaft auf den Garagenhöfen gesprochen. In der Studie führen Sie an, dass zu DDR-Zeiten es noch eine Gemeinschaft gab, diese aber seit längerem auf dem Rückzug ist, nicht nur auf Garagenhöfen, auch in Kleingartenvereinen, z.B. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Man muss das etwas relativieren. Klar leben da immer noch Leute, die haben das gemeinsam aufgebaut, die kennen sich. Aber, dass das jetzt den gesamten Garagenhof einbeziehen würde, das sehe ich nicht. Selbst bei dem Jubiläumsfest waren nicht alle da. Aber ich verstehe komplett, dass Leute nicht einfach davon lassen können. Ich halte es dennoch für eine übertriebene Meinung, dass durch das Verschwinden eines Garagenhofes eine soziale Gemeinschaft zerstört würde.

Wie sehen und bewerten Sie den gelegentlich ins Spiel gebrachten Konflikt Ost-Menschen (in Garagen) vs. West-Menschen (in Rathäusern)?

Ich glaube das ist nicht so, das stimmt nicht, sonst wäre der Garagenhof schon längst weg. Die Leute aus Stadtpolitik und Stadtverwaltung, mit denen ich gesprochen habe, sind nicht so desinteressiert. Aber es gibt eben konkurrierende Ansprüche an diese Flächen. Soziologisch ist es interessant das zu begutachten, aber die Ost-West Diskussionen gehen häufig an den eigentlichen Konfliktlinien vorbei.

In Anger-Crottendorf beklagen sich einige Akteure vom Garagenhof und darüber hinaus, dass mit ihnen nicht gesprochen wird. In den Jahren 2022/ 2023 gab es allerdings über 30 Veranstaltungen im Stadtteil mit Charakter von Bürgerinformation/ Bürgerbeteiligung. Sie schreiben in ihrer Auswertung: “Mitunter wird selbst dann ein ausbleibender Dialog beklagt, wenn gerade mit politischen Vertreter:innen gesprochen [wird].” Wie ist das gemeint? Wie bewerten Sie das?

Am augenfälligsten war das beim 50-jährigen Jubiläumsfest. Das sitzt man mit Vertreterinnen und Vertretern von Die Linke und SPD beisammen und dann sagen die Verantwortlichen der Garagenvereine, mit uns redet keiner. Ich glaube, da wird bei manchen nicht unterschieden zwischen hier hört uns jemand zu und dort teilt jemand unsere Position. Das ist schwer aufzulösen. Dass die Stadtverwaltung punktuell vielleicht mal unglücklich kommuniziert hat, das kann sein. Aber, dass den Garagenvereinen niemand zuhört, dass stimmt auf gar keinen Fall.

Parolen am Garagenhof Liselotte-Herrmann-Straße 2021.
Foto: ACA

Das individuelle Bauchgefühl sagt also etwas anderes. Aber wie soll man mit Menschen umgehen, die – vorsichtig formuliert – faktenfrei und beratungsresistent sind?

Das kann ich auch nicht sagen. So nehme ich die Lage aber auch war. Die Filmvorführung im Dezember war ähnlich gelagert. Man ist der Meinung, das Amt arbeitet gegen uns, das Amt arbeitet schlecht und prüft keine Alternativen. Man muss noch einmal trennen zwischen politischen Akteuren und Ämtern. Die städtischen Ämter müssen zeigen, was sie geprüft haben, was für Standort A spricht und was gegen Standort B. Und die politischen Akteure müssen das zur Kenntnis nehmen und dann entscheiden.

Volker Külow, Stadtrat für Die Linke mit Wahlkreis Altwest und selbsternannter Garagenversteher, nahm auch am 50-jährigen Jubiläum teil. In seinem Redebeitrag versprach er das Blaue vom Himmel, die Notwendigkeit eines weiteren Grundschulstandortes kam darin nicht vor. Daraufhin feierten die Garagenvereine in ihrem Blog: “Ein Fest das Hoffnung macht”. Das klingt etwas nach Polarisierungsunternehmer. Ist es nicht problematisch, wenn Politik Stimmung aufgreift und verstärkt, statt Dinge zu erklären?

Das ist problematisch und das sehe ich auch an der Stelle mit konkreter Kommunalpolitik. Man sieht aber auch, dass falsche Versprechungen hier ein Problem sind oder eben auch mäandernde Einstellungen. Das scheint mir auch in Mockau-West ein Problem zu sein. In gewisser Weise wird so getan, als könne alles zur gleichen Zeit gehen. Das geht in manchen Fällen, in manchen Fällen kann man vielleicht Kompromisse machen. In anderen Fällen, glaube ich, geht das nicht. Und das ist nicht zuletzt dann der Fall, wenn etwas gebaut werden soll.
Ich teile schon ihre Meinung. Da kommen stadtpolitische Auseinandersetzungen ins Spiel. Der Beigeordnete [für Stadtentwicklung und Bau, A.d.R.] wird als “die Grünen” wahrgenommen von konservativerer Seite und gesagt, lass die Garagengemeinschaft mal ihr Ding vertreten, ohne aber selbst Alternativen ins Feld zu führen.

Sie schreiben, dass “politische Akteur:innen eher selten vor Ort” waren? Hätte mehr Präsenz etwas verändert?

Ich hatte schon das Gefühl, das Thema hätte stärker bespielt werden können. Aber ich will nicht sagen, dass der Ausgang dann ein anderer wäre.

Vor kurzem meldete sich Katja Vogel mit einem offenen Brief zu Wort. Vogel ist Vorsitzende des Elternrates der Paul-Robeson-Schule in Wahren, die stark sanierungsbedürftig ist. Darin fordert sie die Stadträtinnen und Stadträte auf “nach Stellplatzalternativen für die Garagennutzer zu suchen”. Also genau das Gegenteil des aktuellen Handels. Bisher sollten immer nur andere Schulstandorte gesucht werden. Wäre damit eine Lösung möglich? Wie wahrscheinlich ist das?

Das kann ich schlecht beurteilen. Aus meiner Sicht ist eine Abstellfläche für ein Auto schneller geschaffen als eine Schule. Ob man dann mit der Anzahl der Stellplätze zurechtkommt, ist eine andere Frage. Ich kann mir aber vorstellen nach Härtefällen zu schauen. Bei 200 Garagen gibt es vielleicht 50 Härtefälle und gegebenenfalls findet man dafür eine Lösung. Häufig ist es auch eine Milchmädchenrechnung: Hier parken heute 200 Autos, wo sollen die morgen parken. Erfahrungsgemäß relativiert sich das und es braucht vielleicht für 50 Autos eine Alternative. Aber Stadt- und Verkehrsplanung ist nicht meine Expertise.

In den Schlussfolgerungen ihrer Studie stehen u. a. folgende Sätze: “Zu oft stießen wir auf Zuschreibungen und Unterstellungen von A gegenüber B, auf das Absprechen von legitimer Mitsprache, auf grundsätzliches Misstrauen gegenüber demokratischen Prozessen. Ohne ein solches Fundament werden kaum die einfachsten Probleme zu lösen sein, noch wird es mit darüber hinausreichenden Ideen etwas werden.” Wie beurteilen Sie die allgemeine Diskurslage und die Debattenkultur in Anger-Crottendorf?

Individuell habe ich mit den Leuten gut reden können. Das ging mir auf allen Garagenhöfen so. Bei der Kinoveranstaltung war das nicht mehr so. Das war keine Debattenkultur. Da war mir zu viel Unterstellung im Spiel von Ideologie und Desinteresse was die Gegenseite angeht. Und da sehe ich noch Reserven bei den Akteuren der Garagenvereine in Anger-Crottendorf, Unterschiedlichkeiten anzuerkennen und auch die Legitimität dieser anzuerkennen.

Abschließend, was raten Sie der Stadtverwaltung, der Stadtpolitik, den Garagenvereinen?

Im Umgang mit Garagenhöfen wünsche ich mir von Verwaltung und Politik mehr Mut, was Stadtumgestaltung angeht. Wir haben sehr viele Garagenhöfe, diskutieren aber über sehr wenige. Man muss sich nicht eine Auto-feindliche Politik vorwerfen lassen, weil man fünf von 200 Garagenhöfen einer anderen Nutzung zuschreibt. Von allen Akteuren sollte mit weniger Unterstellungen gearbeitet werden. Ich tue mich schwer mit dem Gedanken nach Alternativen für die Garagen zu suchen. Das verspricht immer etwas Gleichwertiges an anderer Stelle zu schaffen. Das ist schwierig. Aber man könnte nach Härtefällen schauen, und z.B. Parkbereiche für ältere Leute schaffen. In der Stadtpolitik kann nicht weiterhin alles nach dem Auto ausgerichtet werden, das führt zu nichts. Ansonsten plädiere ich dafür weiter im Gespräch zu bleiben, an den Stellen wo es geht. Also reden, reden, reden und am Ende muss es politisch entschieden werden. Und dann muss man anerkennen, wie die Entscheidung ausfällt.

Redaktion Anger-Crottendorfer Anzeiger (ACA)

Der Abschlussbericht der Studie „Garagenhöfe als Sozialräume?“ kann als pdf-Dokument auf der Homepage der Stadt Leipzig heruntergeladen werden.

 

10 Jahre Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V., in Bewegung viel bewegt – ein Rückblick. Die ersten fünf Jahre

Der Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V. hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem wichtigen Akteur im Stadtteil entwickelt. Was als kleine Initiative begann, ist heute eine treibende Kraft für soziale, kulturelle und infrastrukturelle Veränderungen. Der Verein fördert das nachbarschaftliche Miteinander, setzt sich für den Erhalt öffentlicher Plätze und grüner Oasen ein und schafft Raum für kulturelle Begegnungen. In enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnern organisieren wir Putzaktionen, Kulturveranstaltungen und Informationsnachmittage, um das soziale Leben zu bereichern und aktiv zur Stadtteilgestaltung beizutragen.

Es ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, dass wir uns bei den Menschen im Stadtteil und darüber hinaus für die Zusammenarbeit ganz herzlich bedanken, die uns in den vergangenen Jahren begleitet und unterstützt haben. Denn die Zeit ehrenamtlich mitzuwirken, ist keineswegs selbstverständlich und verdient höchste Anerkennung.

Der Anfang

Am 8. Juli 2015 gründeten wir den Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V. Damals gab es soziale Treffpunkte und kulturelles Leben im Stadtteil nur in homöopathischen Dosen. Gleichzeitig fürchteten etliche im Viertel Verdrängung durch Gentrifizierung. Und ein paar von denen, die beides nicht einfach erdulden sondern stattdessen ihren Stadtteil gestalten wollten, schlossen sich zusammen. Darüber hinaus waren die elf Gründungsmitglieder bereits mehr oder weniger intensiv in Vereinen oder politisch aktiv.

Unser zweiter PARK(ing)-Day 2018 in der Zweinaundorfer Straße. Im Jahr davor hatten wir einfach noch nicht fotografiert.
Foto: Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V.

Im Aufbau

Nach noch verhaltenem Anfängen und einer Zeit des sich Orientierens trat der Verein 2017 an die Öffentlichkeit. Eine unserer ersten Aktionen war die Teilnahme am PARK(ing)-Day – einem Aktionstag am dritten Freitag im September – an dem Menschen eine Parklücke zu einem Treffpunkt gestalten. Im Herbst 2017 erschien zudem der erste Anger-Crottendorfer Anzeiger. Dafür reichten wir unsere ersten Fördermittelanträge ein. Zeitgleich gründeten andere Menschen den Ostwache Leipzig e.V., um die Feuerwache Ost nach dem Auszug der Feuerwehr als Nachbarschaftszentrum zu entwickeln. Dieser Entwicklungsprozess hält immer noch an.

Die Stadtverwaltung begann die Pläne für den neuen Bildungscampus in der Ihmelsstraße vorzustellen. Hier sollte neben einem Gymnasium und einer Oberschule mit Sporthalle auch ein (öffentliches) Stadtteilhaus für die Bürgerinnen und Bürger entstehen. Mit der fortschreitenden Entwicklung dieses Projektes wurde deutlich, dass der Stadtteil einschneidende Veränderungen erfahren sollte. Für den Ausbau dieses Schulkomplexes mussten Garagen und ein besonders bei Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern beliebter Wertstoffhof weichen.

Weil wir politische Bildung für wichtig hielten und halten, führten wir zur Bundestagswahl 2017 auch unser erstes Wahlforum durch und begannen eine wohlwollende Zusammenarbeit mit der Dreifaltigkeitskirchgemeinde. Die Trinitatiskirche verfügte bis dato über den einzigen größeren Raum im Stadtteil.

Das Adsventssingen 2019 auf dem Trinitatisplatz, unterstützt vom Posaunenchor der Dreifaltigkeitskirchgemeinde. Foto: Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V.

Im „Jahr der Demokratie“ 2018 organisierten wir zwei Veranstaltungen zu den Themen ÖPNV und politische Mitbestimmung. Wir luden die Anwohnenden sowie Gäste aus Politik und Verwaltung ein. Hieraus entstand eine Zusammenarbeit mit dem Bürgerverein Sellerhausen-Stünz. Im Rahmen dieser konnten wir einen Prüfauftrag zur verbesserten Anbindung des Stadtteils durch den ÖPNV in die Beschlussvorlage zur Mobilitätsstrategie 2030 hineinschreiben. Mobilität und ruhender Verkehr waren von Beginn an ein Thema für uns. Durch den Bau des Citytunnels wurde die S-Bahn-Haltestelle Anger-Crottendorf verlegt. Das hatte zwei entscheidende Folgen. Einerseits ging ein wichtiger Zugang zum ÖPNV verloren, andererseits wurde der Bahndamm für mögliche Nachnutzungen frei. Die Väter der Idee streiten sich immer noch bei jeder Gelegenheit, wer ihn erfunden hat – den Parkbogen Ost. Auf jeden Fall fand die Stadtverwaltung die Idee so gut, dass sie sehr viele Fördermittel dafür einwarb. Nun erfuhr der innere Osten eine Aufwertung ungeahnten Ausmaßes. In den über die Jahre durchgeführten Bürgerbeteiligungsformaten sowohl im Projekt „Parkbogen Ost“ als auch „Wege zum Parkbogen“ war der Bürgerverein immer ein gern gesehener und kundiger Akteur, der die Entwicklung des Stadtteiles für eine saubere, resiliente und sichere Zukunft mitgestalten wollte und will.

Forum zur Landtagswahl 2019, mit dem Bürgerverein Sellerhausen-Stünz und der Dreifaltigkeitskirchgemeinde.
Foto: Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V.

Wachstum

Im Jahr 2019 wurde alles ein bisschen größer. Am 30. April tanzten wir zum ersten „Tanz in den Mai“ auf dem damals noch nicht offiziell benannten Trinitatisplatz. Das änderten wir erst im darauffolgenden Jahr. Es folgte die Stadtratswahl im Mai und dann die Landtagswahl im September. Zusammen mit dem Bürgerverein Sellerhausen-Stünz und der Christlichen Initiative Wahlcheck organisierten wir ein tolles Wahlforum zur Landtagswahl. Der PARK(ing)-Day 2019 fand dann auch provokativer zwischen Trinitatisplatz und Konsum statt. Wir nahmen uns mehr Straßenraum und fragten die Menschen deutlich, ob ihr Stadtteil nur ein Schlafplatz oder auch ein Ort zum Leben sein soll? Ende Oktober weihten wir das erste Foodsharing-Fahrrad ein. Zum Adventssingen trat der Posaunenchor der Dreifaltigkeitskirchgemeinde auf. Alles eben ein bisschen pompöser. Und damit sich das fortsetzen sollte, engagierte ich mich zusätzlich als Mitglied im Stadtbezirksbeirat Ost. Damit gelang es uns Entwicklungen im Stadtteil weiter voranzubringen und auch auf Stadtverwaltungsebene in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber dann kam das Jahr 2020 und mit ihm Corona. Wir lernten mit den Herausforderungen umzugehen und trafen uns zunächst viel Online.

Das Stadtteilheft Anger-Crottendorfer Anzeiger hatte sich bis dahin bereits als feste Institution etabliert. Seit 2020 brachten Neubesetzungen der Redaktion frischen Wind. Diese Veränderung spiegelte sich nicht nur im Erscheinungsbild wider. Der ACA wurde nun auf Recyclingpapier gedruckt und auch inhaltlich weiterentwickelt. Die Texte waren jetzt klarer in Kategorien unterteilt und auch die Themenvielfalt wurde merklich erweitert.

Inzwischen sind es schon 23 Ausgaben des identitätsstiftenden Stadtteilheftes Anger-Crottendorfer Anzeiger.
Foto: ACA

Von Anfang an war es unser Ziel, die Akteure aus dem Stadtteil vorzustellen. Im Laufe der Zeit kamen aktuelle Themen aus der Stadt hinzu, ebenso wie die Vorstellung von Läden und Geschäften – vor allem der Menschen, die darin arbeiten. Unser Fokus lag immer darauf, über die Veränderungen und bemerkenswerten Entwicklungen im Stadtteil zu informieren. Auch das Einbinden von Leserbriefen, Kommentaren und Beiträgen interessierter Bürgerinnen und Bürger war uns ein wichtiges Anliegen. Diese kontinuierliche Erweiterung spiegelte sich in den Seitenzahlen wider, die von anfänglich 12 auf mittlerweile bis zu 80 Seiten anwuchsen.

Einweihung des Foodsharing-Fahrrades “Kirsche” 2019, Sellerhäuser-, Ecke Peilickestraße. Der Name fand sich etwas später als jemand unzählige Gläser mit eingeweckten Kirschen hineinstellte.
Foto: Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V.

Da Räume für Veranstaltungen in Anger-Crottendorf schon immer rar waren, erfanden wir 2020 den „Kaffeeklatsch“. An drei Sonntagnachmittagen luden wir Menschen zu Kuchen und fair-gehandeltem Kaffee unter freiem Himmel ein, um mit uns über den Stadtteil zu reden. Trotz Corona ging das Leben schließlich irgendwie weiter, gefühlt voller neuer Erfahrungen aber auch neuer und unerwarteter Herausforderungen. Die Pandemie hat uns für einen kurzen Augenblick verdeutlicht, wie verletzlich wir doch sind aber auch, wie viel Potenzial in der Gemeinschaft steckt.

“Kaffeeklatsch” in Zeiten von Corona 2020, das Leben ging irgendwie weiter.
Foto: Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V.

Als stets gut informierter Bürgerverein wollten wir Ende 2020 die Nutzenden der beiden Garagenhöfe Krönerstraße und Liselotte-Herrmann-Straße davon in Kenntnis setzen, dass der städtische Grund, auf dem ihre Garagen stehen, in Zukunft für eine Grundschule genutzt werden soll. Damit traten wir allerdings Ereignisse los, die wir uns so nicht erträumt hatten.

Was seitdem passiert ist, das berichte ich in der nächsten Ausgabe, die im September erscheint.

Ulrike Gebhardt
Vorstand und Gründungsmitglied
Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V.

Neue Ausgabe des Stadtteilheftes Anger-Crottendorfer Anzeiger erscheint

Am 1. April 2025 erscheint die neueste Ausgabe des Stadtteilheftes Anger-Crottendorfer Anzeiger. Das Heft liegt in Läden und Geschäften im Stadtteil aus und kann kostenfrei mitgenommen werden. Darüber hinaus kann es auch auf der Hompage des Bürgervereins Anger-Crottendorf e.V. heruntergeladen werden.

Der Anger-Crottendorfer Anzeiger 23/2025

Das Heft ist wieder ein bunter Blumenstrauß. Und Blumenstrauß ist auch das Stichwort. Denn in diesem Jahr begeht der Bürgerverein Anger-Crottendorf e.V. seinen zehnten Geburtstag! Und anstatt Geschenke zu bekommen, macht er welche – in Form des neuen Anger-Crottendorfer Anzeigers (ACA). Das Stadtteilheft selbst wird zwar erst acht Jahre alt, mehr dazu im Heft, aber die neueste Ausgabe ist wieder voller Geschichten und einiger weiterer Jubiläen.

So fährt der Quartiersbus erfolgreich seit einem Jahr durch den Stadtteil. Die Redaktion hat sich einmal bei den Nutzerinnen und Nutzern dazu umgehört. Die Trinitatiskirche – einst als Zwischenlösung errichtet – begeht inzwischen ihren 75. Geburtstag.

Darüber hinaus analysiert die Redaktion die Ergebnisse der Bundestagswahl 2025, welche immerhin die vierte Wahl in den vergangenen neun Monaten war, und stellen schon einige Routine fest. Viel Freude erzeugen die Fortschritte rund um den Parkbogen und den neuen Spielplatz “Lilo” im Stadtteil. Es gibt eine neue Hausärztin und Glückwünsche an den Buchladen “Bücherkatze” zur Auszeichnung “Leipzigs Beste”. Was natürlich nicht fehlen darf, ist das Thema Auto. Die Redaktion sprach mit dem Autor einer Studie über Leipziger Garagenhöfe – mit doch interessanten Erkenntnissen zu Anger-Crottendorf.

Viel Spaß beim Lesen!

Stadt sucht nach Interessenten für Stellplatz in Anger-Crottendorf

Die Stadtverwaltung Leipzig hat am Montag, 18. November 2024 das Interessensbekundungsverfahren für einen Anwohnerparkplatz in der Hanns-Eisler-Straße gestartet. Wer einen kostenpflichtigen Stellplatz ab dem Jahr 2028 benötigt, kann sich beim Liegenschaftsamt der Stadt Leipzig melden. Die Kosten belaufen sich voraussichtlich auf 85 bis 100 Euro pro Stellplatz und Monat. Interessierte können sich nun auf zwei Arten melden, enweder analog unter Stadt Leipzig, Liegenschaftsamt, Interimsparkplatz Crottendorf, 04092 Leipzig oder digital unter interimsparkplatz.crottendorf.2028@leipzig.de

Mehr dazu auf der Seite der Stadt Leipzig.

Auf dieser Brache in der Hanns-Eisler-Straße könnte als Zwischennutzung ein Parklatz entstehen.

Das Verfahren beruht auf einer Initiative des Bürgervereins Anger-Crottendorf e.V. Dieser hatte im Mai 2024 über den Stadtbezirksbeirat-Ost einen Antrag in die Politik und somit auch in die Verwaltung bringen lassen, der einen Interimsparkplatz auf dem Grundstück der stadteigenen Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) prüft, welches aktuell brachliegt.

Der Verwaltungsstandpunkt, der dann im September 2024 im Stadtrat zur Abstimmung stand und positiv votiert wurde, behinhaltet noch mehr Zahlen zum möglichen Projekt und ist hier verlinkt.

Die zu erwartenden Kosten pro Stellplatz bewegen sich in dieser Neuanlage oberhalb derer von Stellplätzen im Bestand und ist nicht ungewöhnlich. Der Bürgerverin Anger-Crottendorf e.V. hatte schon im Mai 2024 zu Angeboten im Stadtteil und angrenzend recherchiert.

Perspektivisch werden die LWB das Grundstück für eine Wohnbebauung verwenden, wie es diese dort schon einmal gab. Daher ist der Parkplatz auch nur als Interim möglich. Dauerhaft könnte eine Quartiersgarage im Stadtteil sein, welche die Stadtverwaltung seit geraumer Zeit prüft. Dazu gibt es mehr Informationen in der Ausgabe 22/ 2024 des Anger-Crottendorfer Anzeigers im Beitrag Untersuchungsauftrag: Quartiersgarage.

„Wer gibt freiwillig so viel Geld aus“

Während der Anhörung im Stadtbezirksbeirat Ost (SBB-Ost) am 11. April 2024 meldete sich zum Tagesordnungspunkt „Parkraumanalyse“ ein Mann zu Wort, der einige wichtige und vernünftige Punkte dazu und zu einem Parkhaus im Stadtteil ansprach. Der ACA fragte bei Carsten Schulze-Griesbach noch einmal genauer nach.

Herr Schulze-Griesbach, Sie nahmen an der öffentlichen Sitzung des SBB-Ost teil. Warum eigentlich?

Ganz in der Nähe bin ich aufgewachsen und kenne die Stadtviertel Anger-Crottendorf und Volkmarsdorf seit Jahrzehnten. Und als Leipziger interessiere ich mich allgemein für die städtische Entwicklung.

Zum Tagesordnungspunkt „Parkraumanalyse“ sprachen Sie mehrere Punkte an. So z.B. ungenutzte Parkhäuser in Wohngebieten. Was bewegt Sie?

Das Thema der als zu wenig empfundenen Parkplätze betrifft alle gründerzeitlichen Stadtviertel. Unisono kommen auch stets die gleichen Lösungsvorschläge, dazu zählen Parkhäuser. Gebaut wurden nur wenige, ich wohne im Süden der Stadt mit Blick auf ein ebensolches und dieses soll laut Absichten des Eigentümers abgerissen werden. Es stehen von den 6 Ebenen 4 leer und der Rest ist nur spärlich ausgelastet. Das macht nachvollziehbar, wie unwirtschaftlich diese Anlagen sind. Der monatliche Betrag für einen Stellplatz liegt wohl zwischen 50 und 80 Euro. Der Leerstand lockt zu anderen Nutzungen: Einige skaten auf den großen glatten Flächen, Partys finden statt, am Ende leider auch viel Müll, Krach oder Konflikte bis zum Vandalismus. Es ist ein Schandfleck geworden.

Parkhaus Bergstraße während des Rückbaus im April 2022.

Der Anger-Crottendorfer Anzeiger berichtete schon in der Frühjahrsausgabe 18/2023 über das Parkhaus in der Bergstraße, das wenig genutzt nach 25 Jahren abgerissen wurde und nun durch Wohnbebauung ersetzt werden soll. Das Parkhaus entstand 1997 als in Teilen verkleideter Stahlskelettbau. Ein Stellplatz kostete um die 40 Euro pro Monat. Wie sähe das bei einem heutigen Neubau aus?

In meinem Redebeitrag habe ich Monatskosten von 200 Euro in den Raum gestellt. Das ist natürlich nicht durchkalkuliert. Doch wenn betrachtet wird, wie sich die Baukosten seit 1997 entwickelt haben, ist eine Verdopplung nicht falsch. Kostendeckend ist ca. 100 Euro im Bestand vorstellbar. In Anger-Crottendorf soll das Parkhaus mit einer Verkaufseinrichtung kombiniert werden. Auch als „gestalteter Hochpunkt“ am Polygraphlatz ist nicht davon auszugehen, dass es eine billige schäbige Skelettkonstruktion wird. Somit steigen auch die Anforderungen an Brandschutz und Fluchtwege. Eine relativ kleine Grundfläche sorgt für einen eher großen Anteil an Bewegungs- und Fahrflächen im Verhältnis zur Nutzfläche für Parkstände, die immer breiteren Autos sorgen zusätzlich für weniger Stellflächen je Grundfläche. Damit dürfte die angenommene Kostenverdopplung auf 200 Euro pro Monat eine realistische Annahme sein.

Es wird deutlich, dass das Baurisiko angesichts der enormen Kosten sehr hoch ist, denn hier wie anderswo wird die Nachfrage ausbleiben und stattdessen jede Straße weiter zugeparkt werden.

Laut Parkraumanalyse sind im untersuchten Gebiet in Anger-Crottendorf 3.150 Kfz zugelassen. Laut Statistik der Stadt Leipzig sind den gesamten Stadtteil betrachtet 263 Privat-PKW je 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner gemeldet (Stand 2023). Das ist im Vergleich mit anderen Stadtteilen und der Gesamtstadt eine eher geringe Quote, die zudem auch sinkt. Und Anger-Crottendorf ist ein sehr junger Stadtteil mit im Durchschnitt 37,1 Jahren.

Der eigene PKW-Besitz wird – und wurde auch in der SBB Sitzung – mit der Notwendigkeit des Weges zur Arbeit begründet. Nimmt man dies erst einmal wertfrei so an, stellt sich die Frage nach Notwendigkeit des PKW-Besitzes nach dem Arbeitsleben. Gründe und Ziele sind dann andere, die Zwänge allerdings auch. Die geschilderten Jahreskosten [s. blauer Kasten] dürften so manche Rente aufzehren. Für die 5.000 bis 7.000 Euro jährlich mit Parkhausgebühr kann man die Wege auch allesamt mit dem Taxi zurück legen. Das wird billiger!

Auch der Weg zur Arbeit muss nicht zwingend im eigenen PKW erfolgen. Bereits heute haben bundesweit 65% der mit dem PKW fahrenden Erwerbstätigen ein qualitativ gleichwertiges ÖPNV Angebot. In Leipzig dürfte diese Quote sogar höher sein.

Neue Studien zeigen auch, dass immer weniger Menschen in jungen Jahren sich einen eigenen PKW anschaffen, der Trend allgemein geht hin zum vielfältigen Mix aus Sharingangeboten und anderen Möglichkeiten.

Alle Effekte zusammen ergeben die berechtigte Frage, ob und wie ein Parkhaus für die Betreiber rentabel wird. Entweder gar nicht, dann wird keines gebaut oder mit dem Verlagerungsdruck, dass im Straßenraum deutlich die Anzahl der Stellplätze reduziert wird. Beides wird seine Schwierigkeiten haben, akzeptiert zu werden.

Sie nahmen am demokratischen Prozess im Stadtbezirksbeirat teil. Sie haben auch die Meinungen von anderen Teilnehmenden aus dem Publikum gehört. Was raten Sie diesen, vor allem denen, die sich despektierlich gegenüber ihren Ausführungen äußerten? Wozu fordern Sie sie auf?

Diskussionen wie zur SBB Sitzung sollen zu Lösungen führen, zu Verbesserungen. Was nicht förderlich für eine Lösungsfindung ist, wenn das Niveau auf persönliche Diffamierungen abrutscht. Das sollten sich auch einige SBB-Mitglieder selbst ganz intensiv zu Herzen nehmen.

In Mobilitätsfragen ist es durchweg so, dass der jeweils individuelle Erlebnisrahmen – das Bauchgefühl – vorgetragen wird. Das ist in jedem Fall aber nur ein Teil des Ganzen. Quasi nicht falsch, sondern unvollständig. Vom eigenen Handeln oder Erleben bzw. Erfahren hochskalieren auf die Gesamtschau, dafür braucht es umfassende Analysen. Das leisten Unis und Hochschulen, die forschen dazu. Diese Grundlagen und Auswertungen weichen allerdings von den individuellen Bauchgefühlen ab. Das macht Diskussionen eher schwierig. Es kommt zu Unwillen, die Abweichungen zur eigenen Wahrnehmung überhaupt anzuerkennen. Dann allerdings wird es zwingend unfachlich, unwissenschaftlich und damit nicht mehr zielführend.

Mobilität ist eine komplexe schwierige Wissenschaft, Städtebau, Architektur kommen hinzu, ebenso soziale und soziologische Betrachtungen. Nicht zu vergessen, Themenfelder wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein dürfen auf keinen Fall fehlen. Die vielen Kinder im Quartier wollen schließlich in einer Welt leben, in der sie noch atmen können.

Wozu fordern Sie die Stadtverwaltung auf?

Die Stadtverwaltung muss mehrere Dinge parallel bewältigen. Immer und immer umfassender gehört dazu, die Bürger zu informieren, über die fachlichen Vorausetzungen und Zusammenhänge. Der Handlungsrahmen ist für die Verwaltung das 2018 im Stadtrat beschlossene Nachhaltigkeitsszenario. Dieses sieht vor, die über Jahrzehnte unterlassenen Investitionen in den Umweltverbund, bestehend aus Fuß/Rad/ÖPNV, zu steigern und hier attraktive Angebote zu schaffen. Die LVB hat mit dem „Netz24“ gerade für Anger Crottendorf erste Schritte umgesetzt, was vor allem für Senioren dank der kurzen Fußwege zum Bus eine Verbesserung ist. Insgesamt sorgt eine größere Attraktivität für mehr Nutzung. Die Wahl der Verkehrsmittel wird sich also verändern.

Leipzig ist eine kompakte flache Stadt, ideal für ein dichtes ÖPNV-Netz und ideal fürs Radfahren. Wenn weitere Einwohner zuziehen, was zu erwarten und auch dringend notwendig ist, muss auch die Mobilität innerhalb des kompakten Rahmens ihre Ausprägung finden. Das ergibt zwingend den Druck, noch intensiver und vor allem noch schneller für besseren ÖPNV zu sorgen und die (Ansiedlungs-)Politik der Stadt der kurzen Wege beizubehalten.

Sie sprachen auch das Deutschland-Ticket an. Als Vertreter des Fahrgastverbandes Pro-Bahn, was raten Sie allen Lesenden?

Das Deutschland-Ticket hat zwei Vorteile: Der günstige Preis und – noch wichtiger – die „gnadenlose“ Einfachheit. Es gilt immer und überall im gesamten Nahverkehr Deutschlands. Es ist genauso einfach wie Autofahren geworden. Einfach einsteigen und keine Sorgen mehr mit Tarifzonen, Waben, Ringe oder Ausnahmen. Es wirkt wie das Auto in der Westentasche, also ein Lösungsangebot für platzsparendes Parken. Gewiss gibt es nun einige Nahverkehrszüge, die sehr intensiv genutzt werden, doch in der Masse aller Angebote – so auch in der neuen Linie 71 im Quartier – ist noch jede Menge Platz. Die vollen Züge zeigen eines: Die Menschen wollen den ÖPNV. Es braucht aber Verbesserungen.

Mobilitätskosten im Vergleich

“Ein eigener PKW sorgt ja für zahlreiche weitere Kosten: Anschaffung, geteilt durch die Jahre der Nutzung, Steuern, Versicherung, Reparaturen, Gebühren wie TÜV, Parkgebühren anderswo und natürlich auch Sprit und Öl oder Zubehör. Da kommen schnell – je nach Größe – 3.000 bis 5.000 Euro im Jahr zusammen, zusätzlich zu den 2.400 Euro der geschätzten Parkkosten in einem Parkhaus. Wer gibt freiwillig so viel Geld aus, wenn es so viel preiswertere Alternativen gibt? Selbst wenn sich das beliebte Deutschlandticket von 600 Euro pro Jahr auf 1.200 Euro pro Jahr verdoppeln sollte, ist das immer noch ein Viertel bis ein Fünftel der PKW-Kosten!” Carsten Schulze-Griesbach

 

„Wer gibt freiwillig so viel Geld aus?“ erschien erstmals am 26.08.2024 im Anger-Crottendorfer Anzeiger 22/ 2024.

Alle Ausgaben des Stadtteilheftes stehen unter folgendem Link als Download zur Verfügung: www.bv-anger-crottendorf.de/anger-crottendorfer-anzeiger